Dies ist der ursprünglich für das Buch «Eight Days A Week» vorgesehene Text, der aber letztlich wegen seiner Weitschweifigkeit nicht gedruckt wurde.
Wie alt ist die Welt?
«Sieben Tage, und wenn die um sind, nochmals sieben Tage» ist die einleuchtende und korrekte Antwort, die Till Eulenspiegel in einem DEFA-Film auf diese Frage gibt.
Der Lauf der Geschichte ist aber nicht wirklich kreis-, sondern eher doppelhelixförmig: zwar zyklisch von Tag zu Tag und Jahr zu Jahr, aber insgesamt doch linear von einer ‹ unwiederbringlichen Vergangenheit › zu einer ‹ unvermeidlichen Zukunft ›, wie es Arthur Schopenhauer sagte.
Schöpfungsmythen
Das Angebot an Antworten auf die Frage nach dem Ursprung der Welt ist relativ groß. Die meisten sind aber nicht zufriedenstellend; viele setzen beispielsweise schon zuviel Existierendes voraus, bevor überhaupt eine Welt geschaffen werden kann, wie etwa die isländische Saga vom Gletschereis von Niflheim und dem Feuer von Muspellsheim, die sich vereinigten, um aus ihrer Vermischung den Urriesen Ymir zu erschaffen, aus dessen Achselschweiß ein Sohn und eine Tochter entstanden, die beileibe nicht die ersten Menschen waren usw. usf.
Am anderen Ende der Komplexitätsskala steht die von Douglas Adams kolportierte elegante Annahme, dass das Universum fix und fertig vom Großen Grünen Arkelanfall ausgeniest wurde; aber auch das setzt wenigstens die Existenz eines Großen Grünen Arkelanfalls voraus.
Irgendwo dazwischen steht die biblische Erzählung, dass die Welt in der Woche vom 23. Oktober 4004 vor Christus per Dekret ‹ des HErrn › erschaffen wurde. Oder auch im Monat Tischri des Jahres 3761 vor Christus, nach gregorianischem Kalender am 6. September um 23:11 Uhr und 20 Sekunden, wie Patriarch Hillel II. es im Jahr 359 bestimmt hat. Das Buch Genesis selbst macht keine exakte Angabe dazu.
Immerhin sagt dieser Text aber, dass der Vorgang sieben Tage gedauert haben soll. Die Spekulation darüber, ob dieses gewaltige Werk tatsächlich in sieben mal vierundzwanzig Stunden zu verrichten sei, scheint zwar einerseits pragmatisch, andererseits aber auch wenig glaubensfest zu sein. Während die Hardcore-Kreationisten darauf bestehen, dass diese Tage tatsächlich 24-Stunden-Tage waren, halten es die Zeugen Jehovas für möglich, dass jeder davon auch Tausende von Jahren gedauert haben könnte.
Wenn man sich diese Tausende als jeweils ein paar Millionen Jahre denkt, dann kann man diese Schöpfungsgeschichte sogar relativ grob an die akutell geltende Urknalltheorie annähern: Erst ein Lichtblitz, dann klärt sich das Universum und Licht und Dunkel werden unterscheidbar, dann das feste Inventar des Universums, dann das Meer und die Wassertiere, dann das Land und die Landtiere und den Menschen – und dann die Siesta.
Evolution vs. neu machen
Einige göttliche Kreationen wie die unsterbliche Qualle Turritopsis dohrnii waren schon auf Anhieb perfekt, andere stellen jedoch die Theorie vom ‹ Intelligent Design › ziemlich auf die Probe, gerade was uns Menschen – die angebliche Krone der Schöpfung – betrifft. Darum stellt sich die Frage, warum Gott nicht die Chance genutzt hat, die Welt nach den ersten sieben Tagen gleich wieder einzuschmelzen und sie am achten Tag noch einmal neu zu machen. Wobei … sicher weiß man das nicht. Vielleicht ist es auch schon der hundertste oder millionste Versuch und er kriegt es einfach nicht besser hin. Egal in der wievielten Version wir uns befinden: Die aktuelle, in der wir leben, versucht Gott in einem endlosen Prozess von teils drastischen Korrekturen wie der Vertreibung aus dem Paradies, einem Reset in Form der Sintflut oder dem Auftritt des Messias endlich zur Zufriedenheit zu vollenden.
Eine makellose Schöpfung zu verlangen steht dem Menschen aber überhaupt nicht zu, wenn er an der Idee eines allmächtigen Schöpfers festhalten will. Ein Schöpfer nämlich, der mit seiner Schöpfung einen vernünftigen Zweck folgen wollte, wäre dann ja diesem Zweck verpflichtet und somit nicht mehr allmächtig. Immerhin macht er ja selber eine Evolution durch: Vom rach- und eifersüchtigen Schutzpatron eines nomadischen Wüstenvolkes hin zu einem gütigen, verzeihenden Weltseelen-Etwas für jedermann. Trotzdem konnte alle Zähmung und Kultivierung Gottes nicht solche Kreationen vergessen machen wie die Schlupfwespe, deren parasitische Larven ihre Wirtstiere, meist Schmetterlingsraupen, bei lebendigem Leibe von innen auffressen, was Charles Darwins Zweifel an einem gütigen Gott nur noch mehr verstärkte. Die Kabbala hält dieses Übel – wie das Böse ganz allgemein – für Reste von Probeschöpfungen, die vor dem Neuanfang nicht gründlich beseitigt worden sind.
In diesem ‹ Theodizee › genannten Komplex können die göttlichen Kombinationen Allmacht&Unwillen, Unfähigkeit&Güte, Unfähigkeit&Unwillen den desolaten Zustand der Welt plausibel begründen, aber nicht die ersehnte Einheit von Allmacht&Güte.
Eight Days A Week
Sonnenauf- und untergang, Neu- und Vollmond, Sommer und Winter: Tag, Monat (soweit man ihn auf die Mondphasen bezieht) und Jahr haben offensichtliche Merkmale, aber was ist die Woche? Während die Tages- und Jahreszeiten für fast alles Leben von Bedeutung sind, ist die Woche wohl nur für den Menschen von Bedeutung. Deshalb ist es auch die exklusive Aufgabe (und Fähigkeit) des Menschen, zu bestimmen, welcher Wochentag gerade ist. Außer an Phänomenen wie beispielsweise einem Kneipenschließtag gibt es nämlich nichts, woran man diese Zeiteinheit festmachen kann. Umso verwunderlicher, dass seit Erschaffung der Welt anscheinend noch nie die Zählung der Wochentage durcheinandergekommen ist, wo doch einen einzelnen Menschen ohne gesellschaftlichen Kontakt schon nach einigen Tagen unweigerlich die sogenannte Wochentagsamnesie befällt.
Warum jetzt sieben Tage? Warum nicht 5? Oder 8 oder 10? Das hat es alles gegeben, in der früheren wie in der neueren Geschichte. Der russische Revolutionskalender führte für 11 Jahre eine 5-Tage-Woche ein. Eine 8-Tage-Woche war im Römischen Reich üblich. Dekaden gab es im alten Ägypten, aber auch zur Zeit der Französischen Revolution.
Die Autorität unserer Siebentagewoche beruht ganz offensichtlich auf der biblischen Schöpfungsgeschichte. Der Zahl Sieben lässt sich allerlei Wunderkraft beilegen; so enthält sie als Summe von 3 und 4 – der Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und heiligem Geist sowie den vier Elementen Feuer, Erde, Wasser und Luft – alles, was die Welt ausmacht. Aber was in der natürlichen Welt ist wirklich siebenzählig? Zwerge, Geißlein, Samurai – die Zahl sieben hat überdeutlich mehr kulturelle und religiöse Bezüge als natürliche. Selbst die Zahl der «Wandelsterne», der beweglichen Himmelskörper unter Mitzählung der Sonne, war von der Antike bis in die Frühe Neuzeit sieben und passte wunderbar zu den damaligen Beobachtungsmöglichkeiten und -zielen. Genauso verhält es sich mit den sieben Weltmeeren, die im Laufe der Jahrtausende zwar ständig andere, aber doch immer sieben waren. Rom wurde wie Jerusalem auf sieben Hügeln erbaut. Und – Wunder über Wunder! – auch die frühere Hauptstadt des oströmischen Reiches, Byzanz/Konstantinopel/Istanbul steht auf sieben Hügeln.
Das 1. Fotobuch Mose
Fotografie schafft Welten – oder wenigstens erst einmal Berge von Bildern. ‹ Eight Days A Week › unternimmt den Versuch, aus den Bergen eine Welt zu schaffen, und zwar in sieben Anläufen. Genauer gesagt in sieben plus einem, und um ganz genau zu sein: In jedem dieser acht Versuche wird die Welt nicht an sieben, sondern einem Tag mehr geschaffen. Nachdem nämlich die Originalschöpfung jedesmal pünktlich zum Sabbat fertig ist, bricht am folgenden Tag ( den man als den liturgischen ‹ Oktav › lesen kann, eine Art Ausnüchterungstag nach den kirchlichen ‹ Hochfesten › ) das Anthropozän an.
Im Großen wiederholt sich das Muster: Nach den sieben ersten Versuchen, die Gott vorbehalten sind, schließt eine achte Woche das Werk ab: Das ist die Woche der sechs «Sansculottides», der Jahres-Resttage des französischen Revolutionskalenders. Da dieser Kalender keine siebentägigen Wochen, sondern zehntägige Dekaden hatte, von denen jeweils drei einen Monat bildeten, blieben am Ende des Jahres fünf, in Schaltjahren sechs Tage übrig, die als «Sansculottides» genannte Feiertage eigene Namen hatten: Tag der Tugend, des Geistes, der Arbeit, der Meinung, der Belohnung und, alle vier Jahre, der Revolution.
Blur
Aus dem bisher Gesagten kann man ahnen, dass eindeutige, scharfe Antworten schwer zu finden sind. Trotzdem sollte man nicht in den verbreiteten Glauben verfallen, dass verlässliche Aussagen – zu welchem Sachverhalt auch immer – prinzipiell nicht möglich wären. In der Fototechnik gibt es immerhin objektive Kriterien zur Bewertung der Schärfe von Bildern.
Nach diesen Maßstäben sind die Bilder dieses Buchs durchgängig unscharf. ‹ Unscharf › gilt unter Nicht-Fotografen als Mangel, deshalb sollte man hier eher von ‹ detailreduziert › sprechen – das hört sich mehr nach Absicht an, was es selbstverständlich auch ist.
Diese Detailreduktion entsteht hier durch den Verzicht auf ein ‹ richtiges ›, das heißt ein Glaslinsen-Objektiv. Stattdessen wird auf die Urform der Kamera zurückgegriffen: Die ersten, als Zeichenhilfen benutzten Projektionsapparate hatten noch kein Objektiv, sondern nur ein einfaches Loch an dessen Stelle.
Die wichtigere Besonderheit gegenüber einem Linsenobjektiv ist aber die Lichtschwäche des Lochobjektivs, das auf englisch anschaulicher ‹ Pinhole › heißt: Die geringe Lichtmenge, die das Loch passieren lässt, macht diese Kamera praktisch nur bei Sonnenlicht benutzbar, und selbst dann ist mit Belichtungszeiten zwischen einer halben und zwei Sekunden zu rechnen. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Auswahl der Motive: möglichst einfache, große Formen – und möglichst keine Bewegung, denn die führt, je nachdem, ob sich Kamera oder Motiv bewegen, zu einer weiteren Arten von Unschärfen: zu Verwacklung oder Verwischung.
Wenn man aber alles richtig macht, dann bekommt man wunderschöne Bilder von den Werken Gottes, Bilder, die von 3 cm bis unendlich – quasi von jetzt bis in alle Ewigkeit – gestochen unscharf sind.