In Allstedt an einer Mauer hinterm Kriegerdenkmal ein professionell gestaltetes Graffiti: «8. Mai. ‹Tag der Befreiung› Wir feiern nicht!». Unglaublicher Maihimmel über Hundisburg. Schwarze Pyramiden im Mansfelder Land. Der Hinterhof eines indischen Restaurants in Havelberg: alles doppelt vorhanden, sogar die Löwen. Malerisch an der Elbe gelegener Steinmetz mit lautespielendem Putto und Alligator. Drei halbierte Fichten hinter einer Mauer. Das «Deutsche Haus» in Wettelrode, verschlossen und verwuchert. «Chemie Schweine» auf der Saalebrücke in Könnern. Eine versenkte Dampflokomotive in Hettstedt.
Standby (2020)
Traumhaus (2013–2020)
Vineta (1985/1990)
«Vineta, das war eine Art Ost-Atlantis. In den Polytechnischen Oberschulen der DDR kannte jedes Kind die Sage von der Stadt, die in der Ostsee untergegangen war. Die untergehen musste. Denn Vinetas Bewohner waren undankbar gewesen. Sie wussten nicht zu schätzen, was sie hatten. Selbst eine letzte dringende Warnung vor ihrem eigenen Ende schlugen die Vineter in den kühlen Ostseewind. Am Ende riss eine Sturmflut die Stadt mit Mann und Maus hinab auf den Meeresgrund. Bis heute meinen Spökenkieker, Vineta tief unten am Grund schauen, die Schläge der goldenen Kirchenglocken aus dem Wellenrauschen heraushören zu können. […] Die Vineter missachteten, was sie hatten. Nicht ihre Schuld. Schuld war das große Fremdgewordensein mit dem eigenen Land. Schuld war die kleine innere Freiheit, die jeder sich abgesteckt hatte wie ein Gärtchen. Eine Freiheit, die mehr galt als ein gültiger Pass. Ein Verbundensein unter den Hiergebliebenen, ein Loslassen der Flüchtenden, ein Sehnen nach dem Anderen, von dem man doch nicht so recht wusste, was das sein soll.»
(Aus dem Begleittext von Anja Maier)

Das Fotoprojekt «Runway» zeigt Landebahnmarkierungen des ehemaligen Flughafens Berlin Tempelhof und knüpft an die Serien «Asphalt» und «Technik» aus der Desiderata-Reihe an.
An «Asphalt» offensichtlich aus motivischen Gründen, aber in einer anderen, ‹sachlichen› Sichtweise, ohne eine den Gegenstand kommentierenden Veränderung durch Licht und Schatten, Feuchtigkeit, Perspektive. Mit «Technik» hat das Projekt gemeinsam, dass es die Veränderung von Stofflichem durch den Menschen untersucht. Es handelt sich dabei um Veränderungen, die ein Funktionieren in einer bestimmten Absicht bezwecken, aber sich dabei immer der offensichtlichen Übermacht der inner- und außermenschlichen Natur zu erwehren haben: dem Versagen, dem Verfall, der Eigenmächtigkeit der Materie in Form von Gravitation, Korrosion oder Erosion. Das unerreichte Vorbild in diesem Sinne ist ein anonymes Foto in der surrealistischen Zeitschrift «Minotaure» von 1937. Es zeigt eine von Pflanzen überwucherte Lokomotive, die mit letzter Kraft gerade dem Dschungel entflohen zu sein scheint, aber immer noch mit ihm verschlungen ist, so daß sie keinen Zentimeter mehr vorankommt und rostend darauf wartet, daß der Wald sie endlich doch verschlingen wird. André Breton kommentierte dieses Bild als «Dokument des Triumphes und der Katastrophe zugleich».


Was eigentlich rein weiße, scharf und gerade begrenzte Fläche sein sollte, erscheint in Wirklichkeit als zerklüftete, dramatische Mikrolandschaft, die man in Bildform geradezu musikalisch lesen kann.
Schon im Ansatz leicht verfehlt – selbst die äußerst primitive Konstruktion wird auf dem Asphalt nicht genau umgesetzt – ist das weitere Schicksal dieser Zeichen ungewiss, ebenso wie ihre Herkunft: es lässt sich nämlich selbst mit hartnäckigster Recherche im Dunkel der verschiedenen Zuständigkeits- und Eigentümerwechsel nicht mehr ermitteln, welche Firma sie wann hergestellt hat. Zudem tragen die Landebahnen, da sie ja nicht mehr angeflogen werden dürfen, riesige Kreuze, sogenannte «Schließungsmarkierungen», die allerdings schneller verwittern als das, was sie außer Kraft setzen sollen. (Aus dem Beileger zum Buch «Runway»)
Runway: Centre Line (2011–2014)

Das erste Bild der Serie ist eine der 30m langen Mittellinien (Centre Line). Es ist 2015 in Form eines Buches erschienen, das schon vor Erscheinen sensible Beobachter zu begeisterten Rezensionen inspiriert hat.
Marion Pfaus hat mich in der Ausstellung «Runway» in der Galerie Franzkowiak zu den Bildern befragt.

Replies (1982–)
Von Ferne (1982–1989)
Asphalt (2007–2011)
Magico (1991–2009)
Technik (1991–2009)
Aphasia (2012–2014)
In meiner fotografischen Arbeit interessiert mich schon immer die Diskrepanz zwischen der gegenständlichen, «richtigen» Bedeutung von Gegenständen und ihrer visuellen Erscheinung. Seit ich eine digitale Lochkamera verwende, habe ich eine Möglichkeit gefunden, die Erscheinung noch weiter zu vereinfachen und dadurch diese Spannung deutlicher sichtbar zu machen.
«Aphasia» ist als 2015 als Buch erschienen.
Pinakothek (2014–)
‹Pinakothek› ist die aktuelle Fortsetzung der Reihe ‹Aphasia››, die 2016 als Buch erschienen ist. Dies wäre mein nächstes Buchprojekt bei Peperoni Books geworden, wäre Hannes Wanderer nicht im September 2018 gestorben.
在春天的第一道阳光下 (2012)
Weitere Serien:
Industriekultur in Sachsen-Anhalt (2020)
Eine Auftragsarbeit für den Verein «Industriekultur in Sachsen-Anhalt»: die ersten 15 von 30 Industriedenkmalen und Museen für eine zusammenfassende Informationswebsite und ein Faltblatt: Das alte Schöpfwerk in Vehlgast an der Havel, das Technikmuseum Magdeburg, das Schiffshebewerk Magdeburg-Rothensee, die Historische Gerberei Burg, die Historische Ziegelei Hundisburg, Ferropolis bei Gräfenhainichen, das Porzellaneum in Annaburg, das ehemalige WASAG-Gelände in Reinsdorf, das Borlachmuseum in Bad Dürrenberg, das Eisenbahnmuseum Kötzschau, das Gradierwerk in Bad Salzelmen, das Pretziener Wehr und andere.
Desiderata (1982–2011)
Is-real (2007–2014)
Kläden, Altmark (2005–2015)
Autos (1984–1989)
Haus der Statistik, Berlin (2018)